Wulff, Wörz, Kachelmann, Arnold ist es Journalisten, Polizisten, Staatsanwälten zunehmend gleichgültig, wenn sie vorschnell Leben zerstören? Hoffentlich nicht.
Christian Wulff wurde zwei Jahre einer Straftat beschuldigt, die er nach Ansicht des Gerichts nicht begangen hat. Die Staatsanwaltschaft Hannover beantragte die Aufhebung seiner Immunität, woraufhin Wulff vom Amt des Bundespräsidenten zurücktrat. Dutzende Ermittler durchleuchteten in der Folge sein Privatleben. Seine Ehe ging in die Brüche.
Harry Wörz wurde in einer ganz anderen Angelegenheit mehr als zwölf Jahre lang einer Straftat beschuldigt, die er nicht begangen hat. Der Mann aus Pforzheim saß viereinhalb Jahre unschuldig im Gefängnis. Er kämpfte sich mehrfach durch alle Instanzen, bis er endgültig vom Vorwurf des Mordversuchs freigesprochen wurde.
Nun ist Wörz frei, verschuldet und psychisch am Ende.
Horst Arnold saß wegen eines falschen Vergewaltigungsvorwurfs im Gefängnis. Die Verurteilung der Frau, die sein Leben zerstört hat, erlebte er nicht mehr, weil er vorher tot vom Fahrrad fiel.
Und was ist mit Jörg Kachelmann?
Ist es Journalisten, Polizisten, Staatsanwälten zunehmend gleichgültig, wenn sie für eine gute Story, einen schnellen Ermittlungserfolg, eine spektakuläre Anklage Leben zerstören? Hoffentlich nicht. Hoffentlich haben diejenigen recht, die darin vielmehr einen funktionierenden Rechtsstaat sehen, dass die Fehlurteile im Fall Wörz und Arnold überhaupt erkannt wurden. Sie sagen: Kachelmann ist doch freigesprochen worden und Wulff doch auch.
Als Außenstehender kann man nur erahnen, was es für einen Menschen bedeutet, gejagt zu werden. Von Polizei, Justiz, Presse. Wie es ist, über Jahre einer institutionellen Übermacht ausgeliefert zu sein.
Wulff jedenfalls wird sich nach dem Freispruch nun wohl darin bestätigt sehen, dass er ein Opfer von wild gewordenen Medien und jagdwütigen Staatsanwälten geworden ist.
Doch nicht die Medien haben ihn vor Gericht gebracht. Die Kammer selbst hat darüber entschieden, die Anklage zuzulassen. Vor Gericht nun ging es weder um den Hauskredit, zu dessen wahren Hintergrund sich Wulff vor dem niedersächsischen Landtag zunächst ausschwieg. Es ging nicht um die Reise nach Sylt, auch nicht um den Urlaub in der Maschmeyer-Villa auf Mallorca. Übrig geblieben waren ein Wochenende in München und der Besuch auf dem Oktoberfest.
Die Medien aber gerieten irgendwann außer Rand und Band. Plötzlich ging es um Abendkleider und ein Bobbycar. Es wirkt, als habe die Staatsanwaltschaft Hannover diesen Jagdeifer schließlich übernommen. Es ist eigentlich unvorstellbar, dass ein Richter der Anklagebehörde in seiner Urteilsbegründung erklären muss, dass sie neben belastendem Material auch entlastendes zu würdigen hat. So aber ist es im Fall Wulff geschehen.
Es bleibt die Frage, warum das Gericht die Anklage überhaupt zugelassen hat. Ist es wirklich vorstellbar, dass sich ein Ministerpräsident für Peanuts kaufen lässt?, fragte der Richter in seinem Urteil. Eine rhetorische Frage, die sich das Gericht vielleicht schon vorher hätte stellen sollen. Die Staatsanwaltschaft hatte Wulff in ihrer Anklage vorgeworfen, dass er sich von dem Filmförderer David Groenewold für insgesamt rund 750 Euro habe einladen lassen und im Gegenzug für dessen Film John Rabe bei Siemens um Unterstützung geworben habe. Das Gericht hatte den Vorwurf von Bestechlichkeit auf Vorteilsannahme zusammengestutzt, dann aber mehr Zeugen geladen, als die Staatsanwaltschaft gefordert hatte.
Richter Frank Rosenow ist ein freundlicher Mensch, er lacht viel. Doch er machte zu Beginn des Prozesses den Eindruck, als wolle er diesen, wie er ihn zu empfinden schien, lästigen bis lächerlichen Vorgang schnellst möglich vom Tisch haben. Rosenow hätte den Prozess gerne schon vor Weihnachten zu einem Ende gebracht. Er entschuldigte sich im Januar sogar bei Wulffs Verteidiger, dass es doch länger dauern werde. Die Staatsanwaltschaft aber hat seine Pläne mit immer neuen Beweisanträgen durchkreuzt.
Im Prozess aber war es richtig, die Vorwürfe nicht möglichst schnell, sondern möglichst gründlich zu entkräften. Ein ehemaliger Bundespräsident ist nicht innerhalb von ein paar Verhandlungstagen zu rehabilitieren. Ein Urteil, das der Bundesgerichtshof aufhebt und eine Revisionsverhandlung nach sich zieht, ist sicherlich das Letzte, was alle Beteiligten wollen.
Die Staatsanwaltschaft Hannover wird es vielleicht dennoch versuchen. So hatte sie es zumindest in der vergangenen Woche angedeutet. Am Tag des Freispruchs klang das schon anders. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft sprach von einer ausführlichen und seriösen Begründung, die das Gericht für seinen Freispruch geliefert habe. Das klingt, als sieht auch die Anklagebehörde wenig Chancen, gegen das Urteil erfolgreich vorzugehen.
Vielleicht liegen die Prioritäten der Anklagebehörde inzwischen aber auch woanders. Die Staatsanwaltschaft Hannover ist derzeit in anderer Sache mit ihrer Verteidigung beschäftigt. Im Fall Edathy wird ihr aktuell vorgeworfen, auf ihrer Pressekonferenz mit detaillierter Auskunft über bis dato unbekannte Einzelheiten weit übers Ziel hinaus geschossen zu sein.
Vielleicht tragen die Fälle Arnold, Kachelmann, Wörz und Wulff dazu bei, Polizisten, Juristen, Journalisten an die fundamentale Bedeutung der Unschuldsvermutung zu erinnern. Auch wenn es wie aktuell bei den Vorwürfen gegen Sebastian Edathy schwerfällt.
Editor: Julian Ovidiu B & APPF